Warum die Dekarbonisierung des Luftverkehrs bis 2050 nicht möglich ist.

Ein Argumentationspapier

In einer aktuellen Studie, die in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, haben Wissenschaftler verschiedene Szenarien durchgerechnet (1). In jedem Szenario wird der Flugverkehr auch 2050 noch Emissionen verursachen – umso mehr, je stärker die Zahl der Flüge zunimmt. Auch die Industrie geht davon aus, dass auch 2050 noch ein Großteil aller Flugzeuge mit klassischen Verbrenner-Triebwerken unterwegs sein werden – angetrieben jedoch mit immer mehr nachhaltigen Kraftstoffen, vorerst vor allem mit Bio-Kerosin. In Kleinstmengen wird es bereits produziert. Wie viel in Zukunft zur Verfügung stehen wird, ist unsicher. Denn die verfügbare Biomasse ist begrenzt. Konkurrenzen zur Produktion von Nahrungsmitteln sind vorprogrammiert. Zudem führt der Anbau zu einem hohen Flächenverbrauch (2).

Ptl-Anlage in Werlte, Emsland, Produktionskapazität: 1 Tonne Rohkerosin pro Tag, Zum Vergleich: Verbrauch Airbus A320: 2.700 l Kerosin/h Fotonachweis: https://www.atmosfair.de/de/klimaschutzprojekte/ptl-e-kerosin/ptl-anlage/
Ptl-Anlage in Werlte, Emsland, Produktionskapazität: 1 Tonne Rohkerosin pro Tag, Zum Vergleich: Verbrauch Airbus A320: 2.700 l Kerosin/h
Fotonachweis: https://www.atmosfair.de/de/klimaschutzprojekte/ptl-e-kerosin/ptl-anlage/

Die Vorgaben der Europäischen Union, Kerosin mit nachhaltigen Flugkraftstoffen zu versetzen, gehen davon aus, dass 2030 sechs Prozent Biokerosin (SAF) beigemischt werden müssen und auch Mitte des Jahrhunderts noch mindestens 30 Prozent fossiles Kerosin genutzt wird. Ob Biokerosin in den nächsten Jahren in der notwendigen Menge zur Verfügung stehen wird, ist zweifelhaft.

So setzt die Branche mittelfristig vor allem auf synthetisch hergestelltes Kerosin – produziert aus erneuerbaren Energien, Wasser und CO2. Für synthetische Kraftstoffe gilt in der Europäischen Union eine Quote von 1,2 Prozent ab 2030, die 2050 auf 35 Prozent angehoben wird (3). Ob 2050 so große Mengen synthetischer Kraftstoffe produziert werden können wie nötig, scheint deshalb mehr als fraglich. Das Umweltbundesamt (UBA) rechnet jedenfalls nicht damit. Das Hauptproblem ist die gigantische Menge an Energie, die zur Herstellung von synthetischem Kerosin benötigt wird. Würde man den heutigen Bedarf komplett synthetisch herstellen wollen, wäre mindestens dreimal so viel nachhaltig produzierter Strom nötig, wie 2021 weltweit von allen Solar- und Windkraftanlagen zusammen hergestellt wurden.

Verbrennungsprodukte Turbine eines Flugzeuges, Quelle: BV Freising e.V.
Verbrennungsprodukte Turbine eines Flugzeuges,
Quelle: BV Freising e.V.

Deshalb ist zu befürchten, dass der Luftverkehr auch 2050 noch zu einem wesentlichen Anteil mit fossilem Kerosin betrieben wird. Auch aus einem weiteren Grund: Neue Flugzeuge haben eine Lebensdauer von 25 bis 30 Jahren. Oftmals werden sie auch länger geflogen. Selbst wenn es gelänge, klimaneutrale Flugzeuge zu bauen, werden über die Mitte des Jahrhunderts hinaus „alte“ Maschinen mit fossilem Treibstoff, bestenfalls mit Biokerosin gemischt, fliegen.

Entgegen anderslautenden Botschaften in öffentlichen Kampagnen geht auch die Luftfahrtindustrie selbst nicht davon aus, dass sie den CO2-Ausstoß komplett verhindern kann.

Verschiedene Verbände und Unternehmen, darunter Airbus, Boeing und die Internationale Luftfahrtvereinigung (IATA), haben im September 2021 einen gemeinsamen Bericht veröffentlicht, wie sie die Emissionen reduzieren wollen (5). In sämtlichen Szenarien bleiben demnach teils erhebliche Restmengen an CO2, die auf anderem Wege kompensiert werden sollen.

Auch bei der Herstellung von synthetischem Kerosin entstehen große Mengen CO2. Doch selbst, falls es gelingen sollte, die Kohlendioxid-Emissionen, die heute bei der Verbrennung in den Turbinen entstehen zu eliminieren, bliebe immer noch ein anderes Problem. CO2 ist nur für etwa ein Drittel der klimaschädlichen Wirkungen des Fliegens verantwortlich – etwa drei bis fünfmal so stark tragen die sogenannten Nicht-CO2- Effekte zur Erderhitzung bei, die auch bei der Verbrennung von synthetischem Kerosin, wenngleich in etwas geringerem Maße anfallen werden. Die klimaschädlichen Wirkungen des Fliegens würden auch im Falle des vollständigen Verzichts auf fossiles Kerosin nur um ein Drittel bis maximal die Hälfte sinken.

Bereits das erste Zwischenziel, das die Bundesregierung gesetzlich festgelegt hat, wird wohl verfehlt. Ab 2026 muss eigentlich 0,5 Prozent des in Deutschland getankten Kerosins synthetisch hergestellt sein. Doch das werde “nicht zu schaffen sein”, schreibt die “Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany” (aireg) auf Anfrage von Panorama (6). In dem Verband haben sich große Unternehmen der Luftfahrtindustrie und Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen.


Beitrag entnommen aus der Kampagnen-Website “Minus20 bis 2030”

der Bundesvereinigung gegen Fluglärm, siehe https://minus20bis2030.info/


Quellen-Hinweise:

(1) Bergero, C., Gosnell, G., Gielen, D. et al. Pathways to net-zero emissions from aviation. Nat Sustain 6, 404–414 (2023). https://doi.org/10.1038/s41893-022-01046-9

(2) „Ohne ehrgeizige Reduzierungen der Luftverkehrsnachfrage und Verbesserungen der Energieeffizienz von Flugzeugen wird die Dekarbonisierung der Luftfahrt erhebliche Mengen an nachhaltigen Flugkraftstoffen (SAFs) erfordern, insbesondere angesichts der Anzahl und langen Lebensdauer von Verkehrsflugzeugen (~23.000 und >25 Jahre). Bis zu 19,8 EJ an SAFs – fast das Fünffache der Gesamtmenge an Biokraftstoffen, die 2019 weltweit produziert wurden – könnten erforderlich sein, um Netto-Null-CO2-Emissionen bei unveränderter Nachfrage und Energieintensität zu erreichen. Eine solche Größenordnung würde erfordern, dass die Ethanol- und Biodieselindustrie viermal schneller wächst als Anfang der 2000er Jahre. Darüber hinaus würden biobasierte Düsentreibstoffe in einer Netto-Null-Welt mit anderen schwer zu dekarbonisierenden Sektoren und mit der Stromerzeugung aus Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (die eine Quelle negativer Emissionen darstellen würde) um Rohstoffe konkurrieren.“ Bergero, C., Gosnell, G., Gielen, D. et al. Pathways to net-zero emissions from aviation. Nat Sustain 6, 404–414 (2023). https://doi.org/10.1038/s41893-022-01046-9

(3) Fit for 55: Parliament and Council reach deal on greener aviation fuels, 25.04.2023,
https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20230424IPR82023/fit-for-55-parliament-and- council-reach-deal-on-greener-aviation-fuels

(4) Umweltbundesamt, Power-to-Liquids. A scalable and sustainable fuel supply perspective for aviation, Januar 2022, https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/background_paper_po wer-to-liquids_aviation_2022.pdf

(5) IATA, Net-Zero Carbon Emissions by 2050, 04.10.2021, https://www.iata.org/en/pressroom/pressroom-archive/2021-releases/2021-10-04-03/

(6) NDR, Panorama, Klimaneutrales Fliegen: Eine Illusion, 16.03.2023,
https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2023/Klimaneutrales-Fliegen-eine-Illusion,klima574.html

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