Die Luftverkehrsbranche behauptet, in 30 Jahren würden wir klimaneutral fliegen. Was ist an dieser Behauptung dran?
Ab 2025 muss in der Europäischen Union Kerosin mit nachhaltigen Flugkraftstoffen versetzt werden. Der Anteil von Biokerosin (SAF) wird zu Beginn 2 Prozent betragen. Die Quote steigt bis 2030 auf 6 Prozent, ab 2035 müssen es 20 Prozent und bis 2050 dann 70 Prozent sein. Für synthetische Kraftstoffe, die aus abgeschiedenen CO2– Emissionen unter Einsatz von Strom entstehen, gilt eine Quote von 1,2 Prozent ab 2030, die 2050 auf 35 Prozent angehoben wird. Ob die Mengen an Biokerosin zur Verfügung stehen werden, ist mehr als fraglich.
Die Industrie setzt vor allem auf „High-Tech-Lösungen“: auf nachhaltige Kraftstoffe und die Entwicklung neuer Flugzeuge mit Batterien oder Wasserstoff-Tanks an Bord. Doch zumindest die neuen Antriebs-Technologien sind nur bedingt geeignet. Batterien haben eine viel geringere Energiedichte als Kerosin und sind folglich viel zu schwer für große Jets. Zum Einsatz werden sie wohl nur in Kleinstflugzeugen auf kurzen Strecken kommen. Wasserstoff wiederum braucht viel mehr Platz als Kerosin, um die gleiche Menge Energie zu speichern. Deshalb wären komplett neu konzipierte Flugzeuge nötig – und auch eine zusätzliche Tank-Infrastruktur an den Flughäfen.
Deshalb geht die Industrie davon aus, dass auch 2050 noch ein Großteil aller Flugzeuge mit klassischen Verbrenner-Triebwerken unterwegs sein werden – angetrieben jedoch mit immer mehr nachhaltigen Kraftstoffen, vorerst vor allem mit Bio-Kerosin, das etwa aus altem Speiseöl gewonnen wird. In Kleinstmengen wird es bereits produziert. Wie viel in Zukunft zur Verfügung stehen wird, ist unsicher. Denn die verfügbare Biomasse ist begrenzt. Konkurrenzen zur Produktion von Nahrungsmitteln sind vorprogrammiert. Zudem führt der Anbau zu einem hohen Flächenverbrauch.
So setzt die Branche vor allem auf synthetisch hergestelltes Kerosin – produziert aus erneuerbaren Energien, Wasser und CO2. Ob 2050 so große Mengen synthetischer Kraftstoffe produziert werden können wie nötig, scheint deshalb mehr als fraglich. Das Umweltbundesamt (UBA) rechnet jedenfalls nicht damit. Das Haupt-Problem ist die gigantische Menge an Energie, die zur Herstellung von synthetischem Kerosin benötigt wird. Würde man den heutigen Bedarf komplett synthetisch herstellen wollen, wäre mindestens dreimal so viel nachhaltig produzierter Strom nötig, wie 2021 weltweit von allen Solar- und Windkraftanlagen zusammen hergestellt wurden.
Als Beispiel wird auf eine Versuchsanlage in Niedersachsen verwiesen. Die Ptl-Anlage in Werlte im Emsland mit einer Produktionskapazität von einer Tonne Rohkerosin pro Tag nutzt Strom aus Wind und Solar aus der Umgebung, CO₂ aus einer Biogasanlage auf dem Gelände und aus der Luft, und Wasser, um daraus ein synthetisches Rohkerosin zu erzeugen. In der Raffinerie Heide wird daraus dann Jet A1 Kerosin, das an den Flughafen Hamburg geliefert und als CO₂-neutraler Treibstoff ins Luftverkehrssystem eingespeist wird. Zum Vergleich: Ein Airbus A320 verbraucht in einer Stunde 2.700 l Kerosin.
Deshalb ist zu befürchten, dass der Luftverkehr auch 2050 noch zu einem wesentlichen Anteil mit fossilem Kerosin betrieben wird. Auch aus einem weiteren Grund: Neue Flugzeuge haben eine Lebensdauer von 25 bis 30 Jahre. Oftmals werden sie auch länger geflogen. Selbst wenn es gelänge, klimaneutrale Flugzeuge zu bauen, werden über die Mitte des Jahrhunderts hinaus „alte“ Maschinen mit fossilem Treibstoff, bestenfalls mit Biokerosin gemischt, fliegen.
Die Luftverkehrswirtschaft fürchtet auch die steigenden Kosten durch den Einsatz von synthetischem Kerosin. Dessen Preis, so Experten wird etwa viermal so teuer sein, wie fossiles Kerosin. Ein Flug von Frankfurt nach New York würde etwa um 500 € teurer sein als heute.
Entgegen anderslautenden Botschaften in öffentlichen Kampagnen geht auch die Luftfahrtindustrie selbst nicht davon aus, dass sie den CO2-Ausstoß komplett verhindern kann. Verschiedene Verbände und Unternehmen, darunter Airbus, Boeing und die Internationale Luftfahrtvereinigung (IATA), haben im September 2021 einen gemeinsamen Bericht veröffentlicht, wie sie die Emissionen reduzieren wollen. In sämtlichen Szenarien bleiben demnach teils erhebliche Restmengen an CO2, die auf anderem Wege kompensiert werden sollen.
Auch bei der Herstellung von synthetischem Kerosin entstehen große Mengen CO2. Doch selbst, falls es gelingen sollte, die Kohlendioxid-Emissionen, die heute bei der Verbrennung in den Turbinen entstehen zu eliminieren, bliebe immer noch ein anderes Problem. CO2 ist nur für etwa ein Drittel der klimaschädlichen Wirkungen des Fliegens verantwortlich – etwa drei bis fünfmal so stark tragen die sogenannten Nicht-CO2-Effekte zur Erderhitzung bei, die auch bei der Verbrennung von synthetischem Kerosin, wenngleich in etwas geringerem Maße anfallen werden. Die klimaschädlichen Wirkungen des Fliegens würden auch im Falle des vollständigen Verzichts auf fossiles Kerosin nur um ein Drittel bis maximal die Hälfte sinken.
In einer aktuellen Studie, die in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, haben Wissenschaftler verschiedene Szenarien durchgerechnet. In jedem Szenario wird der Flugverkehr auch 2050 noch Emissionen verursachen – umso mehr, je stärker die Zahl der Flüge zunimmt.
Bereits das erste Zwischenziel, das die Bundesregierung gesetzlich festgelegt hat, wird wohl verfehlt. Ab 2026 muss nämlich eigentlich 0,5 Prozent des in Deutschland getankten Kerosins synthetisch hergestellt sein. Doch das werde „nicht zu schaffen sein“, schreibt die „Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany“ (aireg) auf Anfrage von Panorama. In dem Verband haben sich große Unternehmen der Luftfahrtindustrie und Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen.
Auch die Lufthansa räumt ein, dass „heute noch nicht alle Lösungen bekannt sind,“ um klimaneutrales Fliegen zu ermöglichen.